In sieben Etappen von Bonn nach Bonn
In 94 Tagen um die Welt. Nur den Pazifik per Flugzeug überquert, den Rest auf dem Land- oder Seeweg. Es war herausfordernd, spannend, anstrengend, ermüdend, hat Neugierden befriedigt, Spaß gemacht, Frustrationen erzeugt, Planungen umgeworfen und Neuplanungen erfordert, uns Neues probieren und alte Vorurteile vergessen lassen. Vor allem aber hat es gezeigt, dass die Menschen überall auf der Welt im Alltag viele ähnliche Probleme und Freuden haben, oft unzufrieden mit ihren jeweiligen Regierungen sind. Dass sie trotzdem hilfsbereit, gastfreundlich und an Fremden/m interessiert sind. Und dass Verständigung auch bei kompletter Sprachlosigkeit funktioniert.
Es war das gemeinsame und eindrückliche Erleben von echter Freiheit. Selbstbestimmt und selbstverantwortlich. Mit all dem dazugehörenden Planen und Entscheiden, Agieren und Reagieren, Fluchen und Freuen.
(Und der notwendigen finanziellen Rückendeckung durch die Kreditkarte – die nur beim allerallerletzten Einsatz in New York [Pier 11/Wall St. nach Red Hook] nicht akzeptiert wurde. Ironischerweise bloss ein paar Meter weg von der Wall Street und ein paar hundert Meter weg vom Helipod, über den die zur Kreditkarte gehörenden Banker mit ihren Hubschraubern zur Arbeit kommen und ins Wochenende fliegen.)
PS Und zu Hause ist es auch schön.
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Hier noch ein paar „technische“ Details. Die Planungen haben ca. sechs Monate gedauert. Ausgehend von der Atlantikpassage (3.12. ab New York) habe ich zunächst in groben Blöcken rückwärts geplant. Mir die Webseiten der diversen Eisenbahnen angeschaut, ausprobiert und vermerkt, wann deren Buchungsfenster geöffnet werden. Apps geladen (immer versuchen, direkt die Original-Bahn-App zu nehmen; nie irgendwelche Vermittler), Konten eingerichtet, Kreditkarten hinterlegt. Für alle Nicht-Eisenbahn-Strecken dann bei rome2rio.com nach Alternativen (Bus, Auto, Fähre) geschaut. Und ein vorzeitiges Ende in Japan als Option vorgesehen.
Unterkünfte außerhalb Chinas mit booking.com oder hostelword.com gesucht, in China mit trip.com.
Zur Verständigung mit den Vermietern Whatsapp installiert. Für China sind WeChat und Alipay unerlässlich.
Uber, Bolt, Yandex (ex-Soviet countries), GO (Japan) und didi (China) funktionieren als Alternativen zu Taxis sehr gut.
Von Iran bis Kasachstan wurden US-Dollar-Noten gern genommen, selbst wenn parallel Kreditkarten akzeptiert wurden.
eSIMs funktionieren einwandfrei. Für längere China-Aufenthalte bietet sich an, eine lokale eSIM und eine westliche zu haben. Eine Reihe von Buchungen gehen nur mit lokaler Nummer, Zugriff aufs (fast) uneingeschränkte westliche Internet hat man mit der westlichen.
Konkretere Fragen einfach per mail an t-kn@web.de
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Wir haben die folgenden Entschädigungsregelungen bekommen.
Deutsche Bahn 7.9.: Komplettausfall der Züge --> Erstattung gesamter Fahrpreis
ÖBB 7.9.: Nutzung Alternative + Ursprungszug --> Erstattung gesamter Fahrpreis
Japan Fähre 7.11.: Komplettausfall der Fähre --> Erstattung gesamter Fahrpreis (95€) + Kompensation (120€ cash)
Japan Bahn 18.11.: Unfall mit Personenschaden --> zeitgleiche Beförderung mit Alternative + Erstattung 50% Fahrpreis
Amtrak USA 22.11.:Sturm: Ende eine Station vorher (nach 12h Fahrt 10min vorm Ziel) --> Erstattung gesamter Fahrpreis (64$) oder Voucher (150$)
Das Leben hat diesmal schnell zurückgezahlt (siehe unten KontraK). Es sind alle Prüfungen geschafft, die Bachelor-Arbeit ist bereits bewertet. Du bist Bachelor. Meinen Glückwunsch.
Außerdem hast du schon einen Praktikumsplatz für die Zeit nach unserer geplanten Rückkehr.
Nun ist es Zeit, den Rucksack zu packen. Lass uns losfahren.
Immer nach Osten.
Liebe Tochter,
nach deinem Abi (2021) wollte ich auch dich* mit einer großen gemeinsamen Reise ins Leben „entlassen“. Covid und der Ukraine-Krieg haben uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Nun, drei Jahre später, ist der erste Zweck dieser Reise hinfällig. Du triffst bereits selbständig und verantwortungsvoll Entscheidungen im und für dein Leben. In der letzten Woche haben wir deinen Großvater beerdigt. Du wolltest unbedingt dabei sein, bist am nächsten Tag wieder 800 km mit der Bahn zurück, um am Folgetag und nochmal zwei Tage später kritische Bachelor-Klausuren zu schreiben. Es gibt wichtige Dinge im Leben, aber eben auch einmalige Momente.
Wie heißt es dazu so schön bei KontraK „Erfolg ist kein Glück, sondern nur das Ergebnis von Blut, Schweiß und Tränen. Das Leben zahlt alles mal zurück, …“
In meiner aktuellen Sommerlektüre „Troubled“ formuliert Rob Henderson das so „Many people say that to do something difficult and worthwhile, they need to be “motivated”. [ ] But the military taught me that people don’t need motivation, they need self-discipline.”
Bleibt der zweite Zweck – ein wenig die Welt außerhalb Europas kennenlernen. Auch dort, wo es viel weniger komfortabel ist. Und möglichst ohne Flugzeug, weil wir knietief im Leben bleiben und nicht darüber hinweggleiten wollen. Eigentlich bin ich schon ein wenig müde, aber die Aussicht auf neue Abenteuer holt dann doch den großen Hunger aufs Leben zurück, der hinter den Mauern der DDR gewachsen ist.
*wie 2017 deine Schwester (www.66meets99.com)
Etappe VII Zurück nach Europa
9. Dezember
Der letzte Tag an Bord. Sport, Frühstück, Uhr umstellen – wir sind nun auf britischer Zeit. Windstärke 7 bis 8. Noch nen Vortrag von einem ehemaligen US-Präsidentenberater, einen anderen zu Kunst. Die letzten Quizze. So lässt sich’s schon leben. Das hier ist eine All-inclusive-Reise auf ziemlich hohem Niveau. Wir haben uns zwölf Wochen in totaler Selbstorganisation mit all den Widrigkeiten der Welt herumgeschlagen. Hier kümmern sich plötzlich andere um alles, wir laufen nur rum und picken uns die Rosinen raus. Beim Essen. Beim Unterhaltungsprogramm. Beim Sport. Hat schon was.
Im Übrigen kann ich die wirklich Reichen nun auch in ihren Tagesabläufen besser verstehen. Wenn man morgens aus einem wunderbar gepolsterten Bett aufsteht, direkt ins voll ausgestattete Fitnessstudio geht, von dort unter die Regenschauer-Dusche und dann an einen komplett vorbereiteten Frühstückstisch mit all den gesunden Sachen – dann, ja dann kann man auch voller Energie mit klarem Kopf die Arbeit beginnen. Wer sich aber mit schiefem Hals von seinem zu festen Dinkel-Spelzen-Kissen und der Kaltschaummatratze erhebt, den Crosstrainer in der kalten Garage stehen hat, beim Duschen auf den Vorhang aufpassen muss, den Joghurt beim Einrühren ins Müsli verschüttet und morgens weder Zeit noch Lust hat, die Äpfel, Melone oder Ananas zu schälen, der hat vom Start weg schlechtere Karten. Allerdings sagt das alles nix über Zufriedenheit oder Erfolg im Leben aus. Aber angenehm, angenehm ist es allemal.
Beim kurzen Blick hinter die Kulissen sieht man aber auch, welcher Aufwand dahintersteckt. Auf ca. 2.500 Passagiere kommen ca. 1.200 Mann Bordpersonal. Und zwischen den beiden Doppelreihen Kabinen entlang der Außenhaut sind in der Mitte des Schiffes viele viele Meter Versorgungstrakt. Mit eigenen Aufzügen, eigener Logistik, eigenen Zugängen, eigenen Wäschereien, Großküchen usw. Jede Menge Leute überall. Irgendwo wird immer geputzt, repariert, gestrichen. Vor den Eingängen zum Buffet steht jeweils jemand mit ner Flasche Desinfektionsmittel in der Hand. Zu jeder Mahlzeit. Jeden Tag. An jedem der vier Buffetzugänge. Vielleicht ist das ja ein Strafjob. Finde das jedenfalls reichlich übertrieben und hab das schnell sein gelassen. Macht der Haut bestimmt keinen Spaß. Und wenn man das an Tag 1 und 2 macht – ok. Aber nach fünf Tagen auf dem Wasser – wo soll hier noch was Neues herkommen? Kein Hafen, kein Kontakt zur Außenwelt. Selbst Möwen gibt es nur, wenn man in der Nähe von Land ist.
Egal, für uns war diese Überfahrt der ursprünglich nicht unbedingt als Erholungsphase geplante Abschluss unserer Weltumrundung. Dass es so gekommen ist – super. Zudem hatten wir einen sonnigen Tag, drei stürmische und den Rest irgendwo mittendrin. Also auch das ganze Spektrum.
Morgen früh werden wir in Southampton sein und mit der ersten Gruppe das Schiff verlassen.
10. Dezember
06.00 Uhr klingelt der Wecker. Ziehe mich an, gehe schnell hoch ins Restaurant für ein kleines Frühstück. Und wundere mich, wieviel Leute schon auf den Beinen sind. Esse mein Müsli, nehme den Tee mit in die Kabine. Marta ist jetzt auch wach. Wir machen uns fertig, packen unsere Sachen und laufen in die Lobby. Niemand zu sehen. Ein Schild weist zur Gangway. Wir müssen unsere Bordkarte scannen und gehen von Bord. So unspektakulär ist das. Keine weitere Passkontrolle, wir laufen einfach an den Taxis vorbei auf die Straße. Sind schon wieder im alten Rhythmus.
Marta hat die Busverbindung und Bushaltestelle schon auf ihrem Handy, gute zwanzig Minuten Fußweg. Doch lieber Taxi? Immerhin weht ein kalter, scharfer Wind bei 6°C. Nee, so kurz vor Schluss machen wir weiter wie bisher. Unterwegs stehen wir einmal vor nem geschlossenen Tor. Zwei Hafenarbeiter helfen uns weiter – in tiefstem Akzent. Als wir an der Bushaltestelle sind, rollt gerade der Bus rein. Fünf Minuten, dann geht’s weiter. Fahrkarte können wir wieder durch einfaches Handy-Antippen kaufen, ein paar Minuten später sind wir am Bahnhof Southampton. Holen uns unser gebuchtes Ticket vom Automaten und setzen uns in den Starbucks gegenüber. Welcome back to Europe.
Die Fahrt von Southampton nach London geht schnell und ist pünktlich. Die Sitzabstände beim privaten Bahnunternehmen sind ab 1,85m Größe schwer auszuhalten, aber pünktlich ist wichtiger, weil wir nicht viel Puffer haben. In London klappt es mit den U-Bahnen ebenfalls, der Eurostar fährt pünktlich um 13.01 Uhr ab, wir stellen die Uhr nochmal eine Stunde vor, kommen in Brüssel an und sitzen um 17.25 Uhr in einem in Deutschland umgeleiteten und streckenverkürzten Eurostar nach Köln. Ankunft mit deutlicher Verspätung um 20.40 Uhr in Köln. Wir werden abgeholt, essen schnell was auf dem Weihnachtsmarkt am Dom, fahren nach Hause und fallen ins Bett.
Etappe VII Zurück nach Europa
7. Dezember
Der Wind ist noch nen Tacken stärker geworden, Schaumkämme auf den Wellen, bis auf die Raucherecke sind die Außendecks gesperrt. Wir fahren aber gut stabilisiert einfach immer weiter Richtung Europa. Und beim Morgensport wieder dasselbe Thema. Beim Liegestütz werden einerseits die Wege beim Hochdrücken so lang, dass ich’s kaum halten kann. Und in die andere Richtung muss ich aufpassen, dass ich nicht in den Teppich beiße. Na, dann eben nur ein bisschen Dehnen und rauf auf die Maschine.
Beim Purser melde ich uns für das schnelle Ausschiffen in Southampton an. Wenn man sein Gepäck selbst von Bord mitnimmt, kann man als erster vom Schiff. 07.00 oder 07.30 Uhr. Wir nehmen gleich den ersten Termin – in London müssen wir ja nun einen Zug früher bekommen.
Wie das Von-Bord-Gehen mit all den anderen Passagieren hier wird – keine Ahnung. Offenbar ist dafür der gesamte Vormittag vorgesehen, da Shuttle-Busse nach London für 14.00 Uhr gebucht werden können. Da wollen wir schon im Zug unter dem Kanal sein. Aber wenn ich mir die Passagiere so angucke, dann wird das wohl so lange brauchen. Wie oft ich hinter irgendwem gehe und quasi in Vollbremsung gehen muss. Offenbar gibt es weder Alters- noch Fitnessbegrenzungen auf so’nem Kahn. Solange alles normal läuft – fein.
Aber wenn wirklich mal ein Notfall eintritt und alle in die Rettungsboote müssen, weiß ich nicht, wie das ausgeht. „Frauen und Kinder zuerst“ müsste eigentlich geändert werden. Angesichts der demografischen Probleme, die wir in der westlichen Welt haben, müsste es eigentlich nach „noch zu lebenden Jahren“ gehen. Also Kinder zuerst und dann alles unter 30, 40, 50 usw. Ist natürlich praktisch nicht machbar. Es sei denn, man bekommt beim Einchecken gleich ein unkaputtbares Armband mit der Farbe der eigenen Altersgruppe. Der einfachste Weg wäre vermutlich „Rette sich, wer kann.“ Aber auch das ist nicht opportun. Hoffen wir einfach darauf, dass auf ewig nix passiert.
Heute entdecke ich meine Podcasts wieder. Lesen macht müde, aber Kopfhörer auf die Ohren, aufs Meer geschaut und zuhören – das gefällt mir, während ich im „Commodore Club“ sitze. Wie nobel das schon klingt: „Commodore Club“. Der ist auf Etage 9 (von 13), in der Nähe der Brücke und eigentlich wohl für die besser zahlenden Passagiere der Decks 9-12 gedacht. Weiche Sessel, gedämpfte Stimmung, um die Ecke die Zigarrenlounge. Pfeife und Zigarre können hier gediegen im cremegelben Ledersessel gepafft werden, Zigarettenraucher hingegen müssen an die frische Luft.
Mit etwas Glück finde ich ein Plätzchen am Fenster, lasse mich in den breiten blauen Sessel sinken und schalte meinen Podcast an. Eine gute Stunde konzentriertes Zuhören, während die Wellen das Schiff leicht schaukeln lassen. Großartig. Eine Welle schafft es bis hoch in die 9., ich warte erwartungsvoll auf die nächste – da passiert aber nix mehr.
8. Dezember
Die Wellen haben keine Schaumkämme mehr, aber es schaukelt weiterhin ein wenig. Im Moment Windstärke 4 bis 5. Abends werden die Türen zum Außendeck aber wieder geschlossen sein. Der Sport gehört nun schon zur Routine, ein ordentliches Frühstück hinterher auch. Eier und Speck, Müsli, Pfannkuchen mit Blaubeerkonfitüre. Und geschnittenes Obst. Wenn man zu Hause ist, wünscht man sich immer einen Teller mit geschnittenem Obst im Kühlschrank, damit man bei Heißhunger nicht an die Süßigkeiten-Kiste geht. Wenn man dann endlich mal ein perfektes Buffet auch mit geschnittenem Obst hat, zieht es einen trotzdem immer noch zu den Süßigkeiten. Ist schon verrückt. Nach ein paar Tagen bin ich aber zumindest so weit, dass ich mir AUCH Obst nehme…
Den Tag verbringen Marta und ich dann – mal zusammen, mal getrennt – bei Vorträgen zu Reiseanekdoten (vom Autor der Simpsons), zum Kunstmarkt rund um Graffiti/Streetart und im Planetarium. Haben wir uns aus dem täglich wechselnden Programm rausgesucht. Hinterher gibt’s reichlich frische Luft an Deck, inklusive kurzem Schläfchen.
Abends ist heute Maskenball, da wird die Masse der Passagiere wieder das lange Schwarze und den guten Anzug oder gar Frack rausholen. Ich werde mir ein Glas Rotwein einschenken und ein wenig lesen. Letzteres hat auf der ganzen Reise – bis auf die Zeit hier an Bord – wieder nicht geklappt.
Etappe VII Zurück nach Europa
5. Dezember
Gestern nach dem Kino hatte ich noch schnell beim Nachtimbiss vorbeigeschaut. Da gibt’s dann bis 00.30 Uhr ein paar Kleinigkeiten von süß bis herzhaft vom Abendbuffet. Im selben Raum ist morgens ab 06.00 Uhr dann schon wieder das allererste kleine Frühstück aufgebaut. Mache mir dort einen Tee und laufe ein wenig umher, um vorm Sport etwas wacher und schon mal leicht aufgewärmt zu sein. Um 08.00 Uhr hab ich dann meine zusätzlichen 450kcal in der Tasche, Marta eine halbe Stunde später auch.
Diesmal holen wir uns ein umfangreicheres Frühstück und setzen uns im Anschluss in die Sonne an Deck. 11°C, ruhiges Meer, bepolsterter Liegestuhl, sehr entspanntes Leben. Marta hört Musik, ich kann endlich mal was lesen. Um 12.00 Uhr wird die Uhr vorgestellt, danach gehen wir wieder zu nem Quiz. Die Quizthemen sind sehr aufs englische Publikum zugeschnitten. Und auf älteres und viel älteres. Bei Musik ging’s um Titel aus den 80ern. Bei Berühmtheiten geht’s um Clark Gable, Brigitte Bardot, Gina Lollobrigida usw. Wir versuchen trotzdem immer mal unser Glück.
Nachmittags ist wieder Tea Time. Nett. Dann springen wir nochmal in einen der Whirlpools an Deck. Coole Nummer, aber beim Rauskommen ist der Wind dann doch reichlich unangenehm.
Und, wir haben den zweiten Tag, schon setzt hier und da leichte Meckerei ein. Wir, na, in dem Fall wohl erstmal nur ich, sind schon komisch. Eigentlich ist alles super, und doch… Wollten abends Pizza essen gehen, dafür gibt’s n kleines Restaurant mit feiner Tischdecke und Bedienung. Eigentlich waren wir wieder auf Buffett eingestellt, aber bedienen lassen ist ja auch nicht schlecht. Und dann warten wir gute vierzig Minuten auf unsere Pizza. Vierzig Minuten, während derer vielleicht sechs bis acht neue Gäste gekommen sind. Warum braucht man so lange für zwei einfache Pizzen? In New York hat das in schlichten Pizzerien vom Bestellen bis zum Bekommen maximal zehn Minuten gedauert.
Die Pizza war dann allerdings lecker. Auf dem Rückweg zum nächsten Quiz sind wir schnell im Standard-Restaurant vorbei und wollten uns noch einen kleinen dunklen Cookie-Nachtisch holen, den wir aus den Augenwinkeln beim Marsch ins Pizza-Restaurant schon gesehen hatten. Leider nicht mehr zu bekommen. Heute Abend also Doppelfehler. Und zu guter letzt ist dann der Apfel (fürs gute Gewissen nach all der Völlerei) innen auch schon braun. Na, das mit der satten Maus und dem bitteren Mehl stimmt wohl.
Wir lesen noch ein wenig und gehen ins heute etwas schaukelnde Bett.
6. Dezember
Passend zum Nikolaus gibt’s eine kleine Überraschung: ordentlich Wind, Windstärke 8 bis 9. An den Treppen werden „hygiene bags“ (Spucktüten) ausgelegt. Trotzdem ist es erstaunlich, wie wenig man auf dem Schiff merkt. Die Liegestühle bleiben an Deck stehen und auch im Restaurant läuft der Betrieb völlig normal weiter. Da fallen keine Gläser um oder ähnliches. Schon bei der Ankunft ist mir aufgefallen, dass – im Gegensatz zu unseren Fähren zwischen China, Südkorea und Japan – nichts angeschraubt ist. Kein Tisch, kein Stuhl, nix.
Beim Sport allerdings merkt man den Sturm dann doch. Auf meinem Cross-Trainer lasse ich das freihändige Treten sein (man kippt zur Seite) und bei den Liegestützen wundere ich mich, dass beim Rausdrücken der Weg manchmal länger wird und beim Absenken das Schiff schnell bedrohlich nah kommt.
Im Anschluss ans Frühstück müssen wir beim Britischen Immigration Officer vorbei. Unsere Zimmerkarte wird vom Bordpersonal gescannt, ein Polizist wirft einen kurzen Blick auf die Pässe. Das war (wohl) die Passkontrolle. Diesmal haben wir den Termin mitbekommen und werden nicht separat zum Spezialtermin eingeladen.
Ansonsten verläuft der Tag mit Müßiggang. Lesen, Planetarium, schlafen, essen. Und am späten Nachmittag ist wieder Quiz, endlich mal eines, das nicht Musik und/oder Film abfragt. Und diesmal gewinnen wir, obwohl wir bei einer von zwölf Fragen nicht einmal verstehen, worum es geht. Bekommen eine Flasche Rotwein als Preis. Immerhin.
Später schauen wir noch beim Bingo vorbei. Wenigstens einmal wollte ich das spielen. Wir kaufen ein Ticket für 10 USD und kreuzen artig die Zahlen ab, die aufgerufen werden. Und kommen nicht mal in die Nähe eines der Gewinne von 50 bis 250 USD.
Zurück in der Kabine stellen wir fest, dass die Duschhalterung, die gestern abgebrochen ist, heute ohne Kommentar von unserer Seite bereits wieder repariert ist. Hier wird quasi geräuschlos auf uns aufgepasst.
Etappe VII Zurück nach Europa
Die Nacht war störungsfrei. Keine weggezogene Decke, keine unangenehme Hitze oder Kälte. Sanftes Ruhen unter langer warmer Decke auf komfortabler Matratze. Bin zwar ein paarmal wach geworden, aber das war vermutlich das Unterbewusstsein, dass mich immer mal prüfen lassen wollte, ob alles nur ein Traum ist… War es nicht, aber der Morgen kommt trotzdem unaufhaltsam näher und mit ihm der innere Schweinehund, der nicht zum Sport will.
Um halb sieben werde ich wach, rufe mir als Erstes die Bilder vom Buffet in den Kopf, insbesondere vom Nachtischbuffet, drehe mich seufzend in die Senkrechte, ziehe mich leise an und guck‘ nochmal auf den Plan, wo das Fitness-Centre liegt. Auf dem Gang ist selbst um diese Zeit schon Bewegung. Und auch die Maschinen sind zu einem Drittel schon belegt. Ich mache ein paar Dehnungsübungen und suche mir einen Cross-Trainer. Hatte ich auch mal. Klicke durch die Programme und entscheide mich fürs Intervallprogramm. Experte ist ab Stufe 16, Anfänger geht bis 6, da sollte 12 doch einigermaßen passen. Nach vier Minuten ignoriere ich mein Selbstbild und schalte auf 10, drei Minuten später auf 8. Gegen Ende wird die Maschine von allein auf 7 runterschalten. Egal, nach vierzig Minuten sind knapp 500kcal zusätzlicher Nachtisch erarbeitet. Der erste Tag hat doch schon mal gut angefangen. Beim Weg zurück merke ich, dass die hintere Oberschenkelmuskulatur nicht so gut fand, was gerade gelaufen ist. Oh, oh, oh. Mal schauen, ob es einen zweiten Sporttag gibt.
Als ich zurückkomme, schläft Marta noch. Als ich in die Dusche gehe, ist sie unterwegs für ihre erste Runde. Sie ist pünktlich zur 9.00-Uhr-Einladung fertig und hat sich auch gute 400kcal extra erarbeitet.
Wir absolvieren unsere beiden Termine und gehen noch schnell zum Frühstück. Bloss nicht zu viel essen und die gerade erarbeiteten Zusatzkalorien verbrauchen. Danach geht jeder seiner Wege – Marta kümmert sich um die allerletzte Wäsche auf unserer Reise, ich setz mich an den Laptop und schreib meine Beobachtungen runter. Wir verabreden uns für 15.30 Uhr beim British Afternoon Tea.
Punkt 12.00 Uhr gibt’s wieder ne Durchsage vom Kapitän. Die Uhr wird eine Stunde vorgestellt. Und ich habe richtig Hunger. Schleiche mich zum Buffet und hole mir ein paar Happen, nebenan in einer der Lounges nochmal Schinkenvariationen mit Grissini. Werde trotzdem müde. Ganz offensichtlich ist die reduzierte Energiezufuhr nach dem Sport nicht so wirklich schlau. Ach, dann gibt’s halt n Mittagsschläfchen. In der Kabine sehe ich, dass Marta bereits vor mir so gedacht hat. Schläft selig unter ihrer Decke.
Mein Wecker holt uns dann zum Afternoon Tea ab. Wir laufen die 200 Meter und stellen fest, dass offenbar das ganze Schiff diese Britische Tradition erleben möchte. Rappelvoll, der Saal. Nach etwas Warten werden wir zu zwei Amerikanerinnen an den Tisch gesetzt. Bekommen frischen Tee und dann – der eigentliche Grund fürs Kommen – Scones mit clotted cream. Ein spezielles englisches Gebäck mit richtig fetter fester Sahne. Traumhaft. Außerdem kann man noch kleine Sandwich-Häppchen und drei, vier andere Gebäckvariationen probieren. Es gibt Augenblicke im Leben, die sind einfach nur gut.
Im Anschluss holen wir uns draußen ein wenig frische Luft und stellen unser Abendprogramm zusammen. Dabei stellen wir fest, dass Gala-Tag ist, dh bei fast allen Veranstaltungen dunkler Anzug, Frack oder ähnliches vorgeschrieben sind. Ich geh um 21.00 Uhr ins Kino. Der Tag ist wahnsinnig schnell vorbei. Obwohl draußen nix als Wasser und Wolken zu sehen ist.
Etappe VII Zurück nach Europa
Als wir von der Gangway ins Schiff treten, sind wir in einer völlig anderen Welt. Alles festlich dekoriert, jede Menge helfendes Personal, Treppen mit dicken Teppichen wie in großen Hotels. Wir laufen weiter zu unserer Kabine, öffnen die Tür und sind mal wieder positiv überrascht. Gebucht hatte ich eine kleine innenliegende Kabine ohne Garantie für eines der Decks. Bekommen haben wir eine größere mit Meerblick. Behindertengerecht. Da hier überall auf das Alter geschaut wird, hat die Alterskombination 58/21 vielleicht zur Annahme geführt, dass ein älterer gebrechlicher Herr eine junge Dame zur Betreuung dabeihat. Uns ist’s egal, wir werfen uns aufs Bett und freuen uns auf sieben komfortable Nächte. In den letzten Ländern unserer Tour (Südkorea, Japan, USA) waren die Zimmer oft klein oder Toilette/Bad übern Flur. Und in New York gab’s neben klein und Sanitär übern Flur auch noch Hitzewallungen der Heizung. Das hier ist eine andere Welt. Und die erkunden wir dann mal.
Für den Kabinen-Service haben wir übrigens Christian. Das ist natürlich kein Deutscher und auch kein Brite oder Amerikaner. Christian heißt ziemlich sicher ganz anders und ist Asiate. Aber für die hauptsächlich englischsprachigen Passagiere sind alle Fremdsprachen ein Problem, also passen sich die Dienstleister an und jeder hat neben seinem eigentlichen Namen noch einen englischen. Verrückt, aber so ist die Welt.
Beim Entdeckungs-Rundgang gehen uns mittlerweile ziemlich anspruchslos Gewordenen die Augen über. Voll ausgestattetes Fitness-Centre, Bibliothek, mehrere Pools und Whirlpools, Pub, Casino, Kino, Hundezwinger, Planetarium, kleine Passagier-Waschsalons, kleine und größere Räume zum entspannten Sitzen.
Und Restaurants. Wir kommen an einem größeren Buffet vorbei und essen schnell nen Happen – es wird gerade ab- und aufgeräumt. Ne gute Stunde später kommen wir wieder vorbei, es ist komplett neu fürs Abendessen angerichtet. So ein Arrangement wird für uns ziemlich sicher zum Problem. Man kann de facto ab 06.00 Uhr bis 00.30 Uhr immer irgendwo was essen. Und das ist nett angerichtet, lädt zum Zugreifen an und streift durch die verschiedenen Küchen der Welt. Da Marta und ich beide gern und neugierig essen, müssen wir irgendeine Strategie entwickeln oder brutale Disziplin an den Tag legen. Wir nehmen uns vor, morgens Sport zu machen und damit das Ticket für ein klein wenig mehr an Essen über den Tag zu lösen. Mal schauen…
Wenn ich mich an die Berichte meiner Eltern erinnere, haben sie immer Anzug/Krawatte und Abendkleid für solche Reisen eingepackt. Das war bei uns natürlich völlig unmöglich. Wer schleppt schon nen knittersicheren Koffer durch die Karakum und sucht in usbekischen Zugabteilen, japanischen Superschnell-Zügen oder südkoreanischen Minizimmern nach Platz für so’n Monstrum – nur, um am Ende der Reise sechs Tage dinnerfertig gekleidet zu sein. Es stellt sich heraus, dass in den wesentlichen Restaurants ab 18.00 Uhr tatsächlich mindestens Hemd und Stoffhose getragen werden müssen. Aber es gibt inzwischen offenbar auch genug andere Kundschaft, die es entspannter angehen will. Und denen gehört dann obiges Buffet-Restaurant, ein netter Lounge-Bereich, Pub, Afternoon Tea, Casino und Poolbar. Sprich, wir sind versorgt.
Ne kleine ängstliche Rückversicherung hatte ich ehrlicherweise aber eingebaut. Am Black Friday ein Hemd für 18 USD gekauft – mit Button-down-Kragen, den sonst nur Juristen tragen. Haifischkragen war nicht im Schlussverkauf und unser Dollar-Budget ohnehin schon strapaziert. Außerdem hätte meine Wanderhose noch die argumentative Verwandlung zur Stoffhose gewinnen müssen. Also – verhungern werden wir ganz sicher nicht. Und auch mit unserer eingeschränkten Klamottenausstattung werden wir nicht auffallen.
Aufgefallen sind wir an anderer Stelle aber schon. Offenbar gehört es sich, dass man nach dem Betreten des Schiffes bis zur ersten Durchsage des Käpt’n einmal zu seinen Notfallsammelplatz läuft. Stand irgendwo klein auf nem Zettel, den wir beim Einchecken bekommen haben. Komplett übersehen und mit anderen Dingen beschäftigt – Restaurantbesuch zum Beispiel. Tja, und in modernen Zeiten bekommt das so’ne Besatzung natürlich mit. An den Sammelplätzen stand Bordpersonal und man musste seine Bordkarte zum Scannen vorzeigen. Jedenfalls haben wir um Mitternacht eine Einladung zum Nachsitzen um 9.30 Uhr im Postfach neben der Tür. Wir hatten aber schon ne andere Einladung für neue Gäste zur Vorstellung des Schiffs und des Reise-Programms um 9.00 Uhr. Beides an komplett entgegengesetzten Enden des Schiffes. Dazwischen liegen unentspannte dreihundert Meter. Der Stress fängt an. Und wird noch größer, weil wir ja Sport machen wollten. Der müsste dann bis 09.00 Uhr fertig sein, am besten inklusive Frühstück.
Abends setzen wir uns bei einem Pub-Quiz dazu. Kategorien Film, Geschichte, Zahlen, Sport und Flaggen. Film schaffen wir nix, Geschichte und Sport ein bisschen, bei Flaggen hatten wir auf mehr gehofft (eins hab ich vergeigt, weil ich Martas richtige Antwort schlicht nicht gehört habe), nur bei Zahlen gab’s den Durchmarsch. Aber selbst das ist schwierig, wenn man den Begriff „stumpfer Winkel“ in Englisch aufschreiben soll (obtuse angle). Im Leben nicht gehört – und ich kann Sachen wie Unterlegscheibe oder Blütenblatt übersetzen😉. Hat trotzdem Spaß gemacht.
Etappe VII Zurück nach Europa
Heute beginnt die letzte Etappe unserer Reise. Es geht zurück nach Europa. Das ist ein wenig schade, andererseits aber auch sehr schön. Wir lassen die USA hinter uns. Menschen, die jeden Tag einer viel härteren sozialen Umgebung ausgesetzt sind, aber auch mehr persönliche Freiheit haben.
Die kundenorientiert sind, aber auch viel stärker wirtschaftlich denken. Als wir zu früh bei unserer Wirtin ankamen und artig die Schuhe vor der Tür ausgezogen haben (Schild befolgt), war ihre etwas schroffe Reaktion, dass wir das nicht machen müssten, weil Check-in ohnehin erst nach 15.00 Uhr sei. Ja, ok. Wir wollten nur gern schon die Rucksäcke abstellen. Dann hat sie kurz überlegt – ok, wir könnten die schon ins Zimmer stellen, wenn wir sofort und in cash bezahlen. Könnten den Schlüssel mitnehmen und zu beliebiger Zeit wiederkommen. Als ich ihr dann die druckfrischen Dollar-Scheine in die Hand gab, haben ihre Augen geleuchtet und sie hat das Knistern des Geldes fast physisch genossen. Und von da an hat sie uns mit einem Wortschwall eingedeckt – wo wir einkaufen, Essen gehen könnten, … Da wir aus D kämen, bräuchte sie uns ja nicht zu erklären, wie man Müll trennt. Das müsse sie nur mit ihrer lateinamerikanischen Kundschaft machen. Und dann erzählt sie noch von ihrem Collie, der ihre sechs (!) Katzen wie eine Schafherde hütet, eine Katze adoptiert hat und solche Sachen. Na, denke ich, man bloß nicht erzählen, dass du Jäger bist…
Aber zurück zum Abschied. Irgendwie ist es eine schöne Fügung, dass wir New York als letzte Stadt auf unserer Reise besuchen. Nachdem wir die Welt von Europa über Asien nach Nordamerika durchfahren haben, treffen wir Menschen aus all diesen Teilen der Welt in genau dieser Stadt. Quasi eine kleine Zusammenfassung unserer Reise. Vielleicht ist New York weltweit die einzige wirklich multikulturelle Stadt. (Singapur, Hongkong?)
Für uns ist sie nun der Ausgangspunkt des letzten großen Abenteuers. Per Schiff nach Europa. Für den Pazifik habe ich leider keine Option gefunden, die zeitlich gepasst hätte. Es gab ein einziges Schiff, dass von Japan Richtung USA fuhr – dort hätten wir aber schon in Singapur zusteigen und mehr als 30 Tage auf einer Kreuzfahrt mit Passagieren verbringen müssen, bei denen ich vermutlich den Altersdurchschnitt deutlich gesenkt hätte. DAS können wir immer noch machen, wenn wir alt genug sind.
Und Frachtschiffreisen gibt es nicht mehr. Wohl, weil die Hafenbehörden keine Lust auf die Kontrollen beim Ein- uns Ausschiffen haben.
Wir werden uns hier nun vorerst nicht mehr melden, da die Mobilfunknetze bis Southampton dünn und die Satellitennetze exorbitant teuer sind. Aber in einer Woche hoffe ich, ein paar Eindrücke vom Atlantik und unserem Bötchen hochladen zu können.
PS Wir hatten die günstigste Kabine gebucht und haben ein Upgrade bekommen.
(Mehr Bilder gibt's erstmal nicht.)
Etappe VI USA
Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, sich neue Schuhe mit größerer Weite zu besorgen, will Marta es heute wissen. Sie hat umfangreich recherchiert und einen Laden in Brooklyn gefunden, der ein Wunschpaar in ihrer Größe hat. Zudem ist heute Cyber-Monday, da ist der Preis ein ordentliches Stück gesunken. Bevor wir dorthin fahren, essen wir aber erstmal Bagel bei Jo. Heute süß. Ach, wenn die Sachen frisch sind, können wir beide nicht widerstehen. Schmeckt ganz ausgezeichnet.
Dann in die U-Bahn und gefühlt um die halbe Welt gefahren, raus auf die Straße – wir bewegen uns in dieser Ecke intuitiv wieder etwas vorsichtiger. Finden den Laden und schauen. Die Schuhe gibt’s nicht. Die Verkäuferin erklärt uns, dass es die Straße nochmal gäbe, wir müssten noch ein paar Stationen weiter mit der Bahn. Machen wir, das Publikum wird tendenziell noch etwas schwieriger. Auf jeden Fall gibt’s jetzt endlich die Schuhe in der richtigen Größe. Aber leider auch andere, die cool sind, noch weiter preisgesenkt – nur leider ein Männermodell. Hin und her, hin und her. Am Ende nimmt sie die vorrecherchierten. Anziehen geht aber erst viel später am Tag, da wir vorher noch neue Socken brauchen…
Es geht per Bahn zurück in ein nettes Viertel rund ums google-Gebäude. Nicht weit weg findet sich ein zur Spazierstrecke umgebauter ehemaliger Bahnabschnitt. Feine Sache. Rundum vermutlich sündhaft teure Apartments. Dann geht’s zum Sockenkaufen, unterwegs essen wir ein Pizza-Stück und in die Dunkelheit hinein schauen wir am Empire-State-Building vorbei. Unser New-York-Aufenthalt geht nun langsam zu Ende. Zeit für ein paar Reflektionen über die Stadt.
New York ist einfach eine faszinierende Stadt. Leider, vermutlich deswegen, auch sehr teuer – was dafür spricht, dass ganz Viele hier ihr Glück versuchen und dass obendrein noch viele Touristen kommen. Sobald man aber etwas außerhalb der nachgefragtesten Ecken ist, kann man zB in Harlem nen Tee/Kaffee noch für um die 3 USD bekommen. Die Polizei-Präsenz fällt auf, aber sie scheint zu wirken. Überall gibt es Infotafeln „If you see something, say something.”, mit Polizeirufnummer. Wenn wir an Polizisten vorbeilaufen und sie anschauen, grüßen sie freundlich. In der U-Bahn haben wir dann auch beobachtet, dass alle irgendwie versuchen, Streit aus dem Weg zu gehen. Und Polizeibeamte haben fliegende afrikanische Taschenhändler zwar gestellt, aber nach ner harten Ermahnung wieder laufen lassen. Das sind alles nur Momentaufnahmen, passen aber alle ins Bild. Und dann gibt am 9/11-Denkmal eben auch Militär (nicht Polizei), die mit Maschinenpistolen entspannt in einem danebenliegenden Einkaufszentrum patrouillieren. Der Staat zeigt massive Präsenz und signalisiert, dass er auch bereit ist, Gewalt einzusetzen. Hätte ich früher abgelehnt, heute bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das in einer wirklich multikulturellen Stadt/Gesellschaft nicht doch notwendig ist.
Und dann riecht es an jeder Häuserecke nach Cannabis. In der U-Bahn gibt es Werbung mit Rufnummern für Suchtprobleme. Und reichlich Bettler und Obdachlose. Das ist bei den Miet-/ Wohnungspreisen auch keine Kunst. Wir haben bei Maklern kleine Wohnungen (ein Zimmer + Bad) ab 2.500 USD gesehen. Unser Zimmerchen kostet über 100 USD pro Nacht. Mit Gemeinschaftsdusche. Und wenn ich mir das Haus unserer Eigentümerin anschaue – gute 100 Jahre alt, einfach verglast, die Heizung läuft morgens und abends vielleicht jeweils ne Stunde. Bei jedem Anstellen entweicht wieder Luft über das angebaute Ventil, der Durchflussregler lässt sich zwar drehen, hat aber keine Wirkung. Die Heizung ist entweder heiß oder kalt, die Zimmertemperaturkurve für uns aber ok, die trockene Luft nervt allerdings. Erneuerungsinstallationen werden lieblos in oder auf die alte Substanz genagelt/geschraubt, Wände mit einfachstem Gipskarton oder Plastik verkleidet. Alte Einbauschränke ihrer Verzierungen beraubt usw. usw.
Das Leben ist für viele einfach so teuer, dass es nicht reicht, um die Immobilien denkmalgerecht zu erhalten. Der Einbau einer ordentlichen Heizung in diesem dreietagigen Haus (drei Zimmerchen plus Küche und Bad pro Etage) würde mindestens 90.000 USD kosten. Und das sind dann immer noch nur Wandheizkörper, keine Fußbodenheizung o.ä.
Und wenn man dann durch New York fährt und diese gewaltigen Häuserblocks aus dem vergangenen Jahrhundert sieht, fragt man sich, wie das jemals saniert werden könnte und auf moderne Standards gehoben. Es gibt natürlich moderne Hochhäuser, auch mit Apartments, aber die Masse der Bausubstanz ist alt. Das google-Gebäude ist so ein relativ großer Block, den sich ein reiches Unternehmen neu herrichten konnte. Aber nicht weit von dort gibt es viel gewaltigere Gebäude, die irgendwann auch doppelt verglast werden könnten. Gigantische Themen. Und solange New York so ein Magnet für die Hoffnungsvollen aus aller Welt bleibt, werden vermutlich immer nur die allernötigsten Instandhaltungen ausgeführt und hin und wieder von den wirklich Reichen einzelne neue oder komplett sanierte Straßenzüge gestaltet.
Und dann ist da die Mentalität der Amerikaner. Für uns Vorsorgeorientierte irgendwie nicht nachvollziehbar. Da gibt es in einem (scheinbar?) ärmeren Viertel in Brooklyn vier Sneaker-Geschäfte nebeneinander – mit allen angesagten Marken und Preisen oberhalb der 100 USD. Und dann kommen da Leute rein, die teure Schuhe an den Füßen haben, ansonsten aber eher nicht wohlhabend aussehen. Und die holen sich dann noch ein teures Paar. Gut, heute war Cyber-Monday, da gab’s ganz gut Rabatt. Aber trotzdem. Marta erklärt mir, dass Sneaker – wir hätten Turnschuhe gesagt – als Statussymbol gelten und so sehen die Füße in diesen Ecken der Stadt auch aus.
Abends gibt's für uns nochmal Fast Food. Panierte Hühnchenecken mit Fritten und einer speziellen Sauce (kennt man auf Tiktok 🤷♂️). Die Verkäuferin macht einen Fehler und gibt uns das falsche Paket. Wir merken das gar nicht und fangen an zu essen. Dann kommt sie nochmal an den Tisch und stellt uns das richtige Paket hin. Und nun? Zwei brauchen wir nicht. Sie auch nicht. Sei ihr Fehler gewesen, sorry. Marta schnürt die Tüte unangerührt zusammen und verschenkt sie hinterher draußen an den ersten Obdachlosen, der uns über den Weg läuft. Dauerte nicht mal 30 Sekunden.
PS Gerade bekomme ich eine mail, dass unser (nun allerletzter) Zug nach Köln in ein paar Tagen gestrichen sei. Es bleibt spannend bis zum letzten Tag...
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Etappe VI USA
Unser Zimmer (mit Gemeinschaftsdusche) liegt etwas nördlich des Central Parks. Wir machen uns fertig und folgen als Erstes der Empfehlung unserer Wirtin zum Bagel-Essen. Nicht weit weg ist eine kleine Bäckerei, in der man zwischen bestimmt zehn unterschiedlichen Bagel-Sorten und mindestens so vielen Belägen wählen kann. Diese Komplexität überfordert mich, Marta hilft mir. Was wir dann bekommen, ist sehr lecker.
Frisch gestärkt laufen wir zum Central Park. An dessen Eingang haben Ginkgo-Bäume wegen (?) der langsam ungemütlich werdenden Kälte über Nacht die Blätter abgeworfen. Es empfängt uns ein eisiger Wind. Auf der Lauf- und Fahrradstrecke sind trotzdem Leute unterwegs, zum Teil in kurzen Hosen oder T-Shirts. Dann sehen wir eine Frau, die Erdnüsse auf ihre Handflächen legt und damit tatsächlich diverse Vögel anlockt. An einer anderen Stelle stehen fünf „Bird Spotter“, die wie gebannt mit Fernglas oder Zoomobjektiv auf eine Stelle an einem Baum starren. Und mir fallen die eigenartig geformten Mülltonnen auf – da hat bestimmt ein Ingenieur ganze Arbeit geleistet.
Wir laufen dann bis etwas zur Mitte, holen uns einen Tee und fahren mit der U-Bahn zum 9/11-Denkmal. Als wir davor stehen, fasziniert mich zum zweiten Mal auf dieser Reise, was für eine Wirkung Architektur haben kann. Ich kenne weder die Geschichte noch die Interpretation des Denkmals. Aber als ich davor stehe, zieht es mich unmittelbar in seinen Bann und macht betroffen. Es ist ein ganz ähnliches Gefühl wie beim Genozid-Denkmal in Jerewan.
Nach dem 9/11-Denkmal laufen wir zur Staten-Island-Fähre. Vorbei an vielen Ankoberern, die uns auf diverse Boote schaffen und für viel Geld um die Freiheitsstatue fahren wollen. Unsere Fähre kostet hingegen nix und man sieht sowohl die Freiheitsstatue als auch die Skyline von New York super gut. Nur dass es man es draußen nicht lange aushält. Der Wind ist so bitter kalt, dass die Hände nach ein paar Fotos dringend in die Taschen wollen.
Zurück geht’s wieder mit der Fähre, dann mit der U-Bahn nach Chelsea. Wir bummeln durchs Viertel, finden bereits einzelne Weihnachtsdekos und laufen über einen Food Court mit Essen aus aller Welt. Unser Plan für heute Abend ist allerdings, dass wir in einem traditionellen Deli(katessengeschäft) essen gehen. Diese Delis waren ursprünglich die jüdische Fast-Food-Versorgung New Yorks. Mittlerweile gibt es nicht mehr so viele und wir werden von einem mexikanischen Koch, einer mexikanischen Kellnerin und einem afroamerikanischen Chef „umsorgt“. Marta nimmt mangels ausgegangener vegetarischer Sandwiches Kartoffelpuffer, ich das „Kardiologen-Spezial-Sandwich“ mit Pastrami, Zunge und Geflügelleber. Beides SEHR lecker.
Wir fahren dann noch ein Stück mit der U-Bahn und sehen bereits eine etwas andere Passagier-Zusammensetzung. Keine Touristen mehr, dafür viele Lateinamerikaner, einige Afroamerikaner. Beim Aussteigen wird es dann noch etwas schwieriger. Viele offensichtlich Bekiffte (oder anderweitig leicht aus den Härten des kalten Tages Getretene), die sich in der Haltestelle aufhalten – wir bewegen uns zügig raus und erst nach etwas Abstand zur Haltestelle sind wir wieder auf einer normalen breiten Einkaufsstraße. Für heute reicht’s, wir laufen nach Hause. Dort stellen wir fest, dass Marta erste Frostbeulen auf ihren Zehen hat. Es ist einfach kalt und die Schuhe sind eng.
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Etappe VI USA
Der Morgen beginnt um 5.30 Uhr. Die Nacht war mäßig – zu warm und dann hat ein Inder vermutlich mit zu Hause telefoniert und sich dafür auf den Gang vor unseren Zimmern gesetzt. Aber mein Magen hat bisher durchgehalten. Das ist doch gut. Vor dem Hotel empfängt uns kalte Luft. -1°C. Wir steigen in den Bus, der hier in Washington um diese Zeit komplett leer ist. Vor ein paar Tagen in San Francisco hatten wir um diese Zeit jede Menge Wärme suchender, mit irgendwas vollgepumpte Mitfahrer.
Wir laufen von der Bushaltestelle zum imposanten Bahnhofsgebäude und setzen uns in die Wartehalle. Im Gegensatz zu den in die Jahre gekommenen Zügen sind die auch schon alten Gebäude perfekt in Schuss. Eindrucksvolle Tempel des technischen Fortschritts von vor über 100 Jahren.
Für uns geht es heute nach New York. Der Zug ist komplett ausgebucht und beim Blick auf die aktuellen Ticketpreise fällt mir die Kinnlade runter. Normale Tickets Washington – New York kosten beim Kauf zwei bis drei Monate vorher ab ca. 25 USDollar. Obwohl ich für uns mit noch mehr Vorlauf gebucht habe, mussten wir schon 79 USD bezahlen – vermutlich wegen des Ferienwochenendes zu Thanksgiving. Wer heute noch kurzfristig ein Ticket kaufen will, wird allerdings um 262 bis 498 USD erleichtert. So er denn eines bekommt, die meisten Züge sind bereits komplett ausverkauft. Gnadenlose Marktwirtschaft. (Zum Vergleich: die Tickets von San Francisco nach Chicago mit 52h Fahrzeit fangen bei ca. 135 USD an und gehen dann bis auf 265, zu Weihnachten 360 USD hoch.)
Wir kommen knapp vorm Mittag im kalten aber sonnigen New York an, fahren mit der U-Bahn Richtung Unterkunft und können wieder früher einchecken. Kleines Zimmer, vor allem kleines Bett, Dusche und Klo auf dem Gang. In New York kann man bei der Unterkunft halt nicht wählerisch sein. Im Anschluss beginnt gleich unser Programm. Trödelmarkt in Harlem, Chinatown, Brooklyn-Bridge, Gondelfahrt zu Roosevelt-Island, Spaziergang zum Times Square. Unterwegs bekomme ich nach nun fast zwei Tagen wenig bis nichts essen doch größeren Hunger. Wir essen zwei Pizza-Stücken – heiß und lecker. Später holen wir uns nochmal Pizza. Stand noch auf der Liste, was wir probieren wollten. Hier in New York merkt man nix von Konsummüdigkeit. Liegt aber vielleicht auch an den vielen Touristen. In jedem Fall bleibt New York eine aufregende, hektische und inspirierende Stadt.
Beim Bummel durch die Straßen sehen wir Weihnachtsbäumverkäufe, die exakt wie zu Hause funktionieren. Nach Größen sortierte und farblich gekennzeichnete Bäume werden am Straßenrand mit Lieferoption verkauft. An den Straßenecken rund um den Times Square fallen uns kleine "Schornsteine" auf den Gullydeckeln auf. Vermutlich soll der Dampf so hoch abgeleitet werden, dass die Autofahrer nicht irritiert sind. Ganz witzig sind auch noch die vielen Kohlpflanzen, die hier als Zierpflanzen in einigen Rabatten rund um Straßenbäume zu finden sind.
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Etappe VI USA
Irgendwas bei meinem Essen war gestern falsch. Erst dachte ich, dass ich schlicht zu viel gegessen hätte, weil seit langem mal wieder mehr als üppig eingekauft war. Aber da ab 5.30 Uhr für vier Stunden mein Energieversorger komplett auf Null gefahren ist, muss ich wohl auf andere Hypothesen schwenken. Kurz sah’s auch nach Doppelentleerung und Kreislaufproblemen aus. Ruhiges Ausharren hat dagegen gearbeitet. Ist ja nicht das erste Mal.
Damit ist der Plan für Washington, Tag 2 erstmal hinfällig. Meiner jedenfalls. Wobei – so’n richtigen Plan gab’s gar nicht. Heute ist Black Friday, da wollten wir mal die amerikanischen Konsumenten im Kaufrausch beobachten. Draußen ist’s kalt (8°C) und windig. Da finde ich es gar nicht so doof, unser Hotelzimmer etwas intensiver zu nutzen. Ist das teuerste und mit das netteste Zimmer der ganzen Reise und doch das billigste, das ich in Washington finden konnte.
Marta hatte sich ihren Ziel-Konsumtempel schon vorher rausgesucht und ist um 10.00 Uhr durch die Tür, nachdem sie ihren leidenden Vater vorher mit Tee versorgt hat (der sich ne Perenterol einwirft und Elektrolyt einrührt). Kaum ist sie raus, hole ich mir zwei Kekse und gieße mir einen Oatmeal-Fertig-Becher auf. Mal gucken, ob das gut geht. Mein bei Aldi stahlgebadeter und zu Sprüchen neigender Bruder pflegt zu sagen „Wenn’s raus ist, ist’s raus.“ – im Sinne von „Wenn ne Stunde nix mehr war, kannste wieder Burger essen.“ Bruder, dein sonniges Wort in meinen geschundenen Magen. Amerikanischer Realitäts-Check. In Samarkand hat das ja eher mein Leid verlängert. Allerdings haben ein paar lebensintensive Dekaden auch an der Substanz gezehrt. Und – ich war schon als Kind etwas wehleidiger.
Am Nachmittag kommt Marta mit leichtem Gepäck zurück. Bei den großen Marken war nix los, erst in einem bestimmten Viertel gab’s n paar Sachen günstiger. Parfüm, Pyjama, Leggins. Und dann will sie auf den Weihnachtsmarkt und findet, dass der Vater mal raus sollte. Also fahren wir n Stück U-Bahn und laufen dann über einen Weihnachtmarkt. Weniger Essen als bei uns, mehr Kunsthandwerk. Die längste Schlange allerdings bei German Wurst.
Eiskalter Wind bei nun nur noch 2°C pfeift über den Markt. Ich bin zwar gut eingepackt, aber Müdigkeit und Kälteregulierung arbeiten gegen mich. Wir laufen noch ein Stück und fahren dann zurück. Kaufen für die morgige Fahrt ein, danach tappe ich ins Hotel. Marta bummelt durch die Geschäfte rund ums Hotel.
Für den Abend bringt sie sich nen vegetarischen Burger und Fritten mit, dazu noch zwei Doughnuts. Voller Glück finde ich in einer meiner Tüten noch nen usbekischen Suppenwürfel. Hatte mehrere davon in Japan wegen westlichen Essens entsorgt. Aber so’n kleiner Rufer im Ohr hat zwei zurück ins Tütchen geworfen. Dazu gibt’s nen Apfel und etwas trockenes Brot von gestern. Wir müssen morgen früh wieder um 5.30 Uhr raus, drücken wir mal die Daumen für die Nacht.
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Etappe VI USA
Nach unserem Rundgang durch die Stadt setzen wir uns in die große Wartehalle. Tolles Gebäude, tolle Architektur. Ziemlich ähnlich der Union Station in Los Angeles. Und dann verpassen wir fast unseren Zug, weil der eine neue Zugnummer hat und wir den Zielbahnhof nicht kennen. 20 Minuten vor Abfahrt frage ich nach und wir müssen uns zum Gleis sputen. Dort allerdings ne sehr lange Schlange, weil das amerikanische System (zumindest bei Amtrak) aus der Zeit gefallen ist. Tickets kann man online Monate im Voraus buchen, Verspätungen werden quasi in Echtzeit mitgeteilt, aber Platzreservierungen gibt es nicht.
Stattdessen geht man zum Zug, es wird das Ticket (gern auf dem Handy) geprüft und dann geht man zum Schaffner an einem der Wagen. Wenn der nicht passt, wird man weitergeschickt. Wenn’s passt, bekommt man einen Pappstreifen mit den handgeschriebenen Platznummern in die Hand. Den steckt man hinter einen Metallstreifen am Gepäckfach über seinem Platz. Später kommt der Schaffner durch, fragt nach dem Reiseziel und hängt einen neuen Pappstreifen über die Plätze, auf dem das Ziel steht (MTP 2 heißt beide Plätze steigen in Mount Pleasant aus; für Washington werden zwei Haken gemalt, die grob ein W ergeben – beim Personalwechsel ändert sich das wieder in WAS 2). Kurz vorm Ziel wird der Streifen auf der Hälfte geknickt und wenn die Passagiere raus sind, ganz rausgezogen. Dann geht das Spiel mit neuen Passagieren von vorn los. DAS geht in China aber ganz anders. In Chicago führt dieses System dazu, dass wir ewig brauchen, bis alle Mann an Bord sind. Wir fahren mit 10 Minuten Verspätung ab.
Der Zug ist diesmal einstöckig (außer Schlafwagen). Deshalb gibt es auch keinen Panoramawagen. Die Sitze sind wieder Liegesitze, in denen man in Schräglage irgendwie versucht zu schlafen. Da es ohnehin schon dunkel ist, machen wir auch nicht mehr lange. Zudem wird kurz hinter Chicago die Uhr weiter vorgestellt, damit sind wir jetzt auf Ostküstenzeit.
Die Nacht war wegen vieler Stopps durchwachsen. Viel Lärm, Bewegung, Gepäckgeschiebe. Die Passagiere sind etwas durchmischter, aber tendenziell eher in der nicht so wohlhabenden „Kohorte“. Amish People auch wieder in größerer Zahl. Heute ist Thanksgiving, der Zug ist voll, das Land fährt offenbar zu Familie/Freunden. Und wir mittendrin. Hoffentlich wird der Abend in Washington für Leute ohne Familienanbindung nicht so’n trauriger Spaziergang wie an Heiligabend in deutschen Städten.
Wir kommen in Washington an – wieder in einem grandiosen Bahnhofsgebäude. U-Bahn ist wegen der vorher geladenen Smart-Tap-Karte kein Problem, das Hotel lässt uns früher einchecken. Wir laufen los und sind zügig am Weißen Haus. Leider sieht man nicht viel und dichter ran geht von keiner Seite. Naja, die Kamerabilder sind sowieso immer besser. Vom Weißen Haus machen wir uns auf den langen Weg zum Capitol. Der Weg fährt entlang einer sehr großen Grünanlage. Links und rechts Museen, deretwegen wir aber nicht hier sind. Viele Familien bummeln bei angenehm warmen 15°C durch den schönen Herbstnachmittag. Washington wirkt außerhalb des Regierungsbereichs wie eine ganz normale Bürostadt. Breite Straßen, Bürohäuser mit ca. zehn Stockwerken. Alles funktional und unaufgeregt. Als es Abend wird, überlegen wir, wie wir den Abend verbringen. Geschäfte haben nahezu alle zu, Restaurants haben mit Vorbestellungen gearbeitet, bliebe Fast Food oder vielleicht finden wir noch was zum Zu-Hause-Essen. Bei uns gibt’s im Zimmer diesmal ne kleine Küchenzeile.
Der erste große, noch offene Supermarkt, den Marta findet, macht in fünf Minuten zu. Weiter draußen gibt’s noch einen, der eine Stunde länger geöffnet hat. Dort schnappen wir uns zwei Mikrowellen-Fertiggerichte mit Truthahn. Dann noch nen Rotwein, Süßes, Obst, Brot, Getränke und anderen Kleinkram. So haben wir immerhin unser kleines Thanksgiving-Essen.
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Etappe VI USA
Wir stehen gut erholt auf, allerdings sind Martas Halsschmerzen zu ner ausgewachsenen Erkältung geworden. Nase zu, Ohren zu, Kopfschmerzen. Die Temperaturen (der Tag startet wieder bei 0°C) und Klimaanlagen im Zug helfen nicht wirklich. Gestern hat sie sich schon einen Schal bei Walmart geholt, gleich gehen wir nochmal rüber und holen Nasentropfen. Vorher gibt’s aber Frühstück – ein kleines Waffeleisen steht in der Küche mit Teig dazu, Corn Flakes, Säfte, Kaffee, kleine Doughnuts, Gebäck, Toast, Apfel, Banane. Das ist ganz ordentlich.
Nach dem Schnelleinkauf bei Walmart laufen wir zum Bahnhof. Sind zu früh dort. Die Amtrak-App schickt uns im Stunden-, später Halbstunden-Takt Infos zur Ankunftszeit. Der Zug ist fast wieder pünktlich, nachdem er beim Ins-Bett-Gehen schon über ne halbe Stunde Verspätung hatte. Neben dem Bahnhof gibt’s ein Café. Als wir reingehen, stellen wir fest, dass es eher sowas wie ein Community-Center ist, mit sehr niedrigen Preisen für Essen und Trinken. Unsere beiden Tees kosten 5 USD, bisher hat jeder einzelne Kaffee mehr gekostet. Ein paar Männer aus der Gegend sitzen schon dort und quatschen über Krankheiten, Tod, wie teuer alles ist usw. Es liegen angefangene Puzzles aus zum Weiterpuzzeln, es gibt ne Kinderecke zum Spielen und eine Wand mit Kinderzeichnungen.
Wir trinken unseren Tee und laufen die paar Meter zum Wartehäuschen, das vor ner Viertelstunde aufgemacht wurde. Dort sitzen zwei junge Paare Amish People. Im Zug treffen wir weitere – älter und jünger. Offenbar geht’s zu Thanksgiving nach oder zumindest Richtung Chicago. Die Frauen alle mit Haarhaube und altertümlich wirkenden Kleidern. Die Männer zum Teil mit Hut, zum Teil mit Wollmütze. Schwarze Lederschuhe vom Schuster, weite Hosen. Hosen, Westen und Jacken – alles aus festen schwarzen Baumwollstoffen. Unsere japanischen Jeans würden vermutlich akzeptiert. Große, kräftige Hände von schwerer körperlicher Arbeit. Unterhaltungen sind nicht zu verstehen, aber gelegentlich klingen Ähnlichkeiten zu deutschen Wörtern durch.
Der Zug rollt ein, wir legen unsere Sachen ab und wechseln sofort wieder in den Panoramawagen. Der ist ziemlich voll, allerdings wird kurz nach unserem Einsteigen durchgesagt, dass Mittagessen ab jetzt nur für eine Stunde serviert wird. Und schon können wir uns gute Sitze mit Sicht aufs ländliche Amerika aussuchen. Es geht weiter über flaches Land mit Feldern, Kleinstädten, und landwirtschaftlicher Infrastruktur – Silos, Lagerhallen, Maschinenparks. In Burlington fahren wir über den Mississippi. Die Stadt hat jede Menge Industrieruinen aus rotem Backstein. Vor Zeiten muss hier irgendwas verarbeitet oder produziert worden sein, vermutlich weil der Transport von hier auf dem Wasser möglich war. Die Eisenbahnbrücke ist reichlich alt, einen Teil konnte/kann man über eine gewaltige Konstruktion heben und senken. Auf der anderen Seite des Mississippi weiter Landwirtschaft und Landwirtschaft.
Und wie in China denke ich, dass sehr große Länder, die sich selbst versorgen können, strategische Vorteile haben. Vermutlich ist Europa in der heutigen globalen Konstellation ein Gefangener seines früheren Erfolges. Mehrere starke Staaten, die in einer Welt vor 100 Jahren genau diese Autarkie besaßen, die heute aber zu klein sind.
Chicago kommt näher, ab ca. 45 min vorher fahren wir eigentlich nur noch durch städtisches Gebiet. Alles bebaut. Kurz vorm Bahnhof ist dann die Skyline zu sehen. Zum ersten Mal wirklich eine ordentliche Reihe an Hochhäusern. In Los Angeles gab’s nur zwei kleinere Bereiche, in San Francisco (wegen der Erdbebengefahr?) kaum welche. Wir entschließen uns, das Gepäc in dem wunderschönen alten Bahnhof abzugeben und unseren üblichen Rundgang durch die Innenstadt zu machen. Bei der Gepäckabgabe mache ich wieder beide Augen zu (10 USD pro Gepäckstück, am geschäftigsten Bahnhof der Welt in Tokio haben wir für weniger zwei Gepäckstücke eingeschlossen). Dann laufen wir los. Es macht Spaß, durch die Stadt und die Häuserschluchten zu streifen. Alles ist schon vorweihnachtlich geschmückt und als es dunkel wird, bilden die Hochhäuser eine schöne Kulisse.
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Etappe VI USA
Von 22.00 Uhr bis 7.00 Uhr wird konsequent Ruhe gehalten. Um 7.00 Uhr kommt wieder die erste Durchsage, Stop in Omaha, Nebraska. Geschlafen – na ja. Aber das sollte schon reichen. Ein Blick aus dem Fenster – wir sind wieder in landwirtschaftlich dominiertem Gebiet. Große Stoppelfelder, hin und wieder Dörfer.
Es ist kalt, laut Wetter-App auch hier -6°C. Offenbar zieht das Wild deswegen über Nacht in die Baumreihen links und rechts des Bahndamms und morgens wieder zurück auf die Felder. Immer wieder springen Hirsche (?) ab. Wenn man etwas genauer hinschaut, sieht man auch Ansitzleitern und kleine Kanzeln. Nicht viel Unterschied zu den ländlichen Gebieten bei uns.
Wir kommen mit zwei Stunden Verspätung in Mount Pleasant an. Steigen dort zusammen mit drei weiteren Mitreisenden aus. Mount Pleasant – das klang so schön, dass wir gesagt haben, dort gucken wir mal vorbei. Wir wollten ein paar Stunden in einem sehr ländlichen Ort verbringen und haben uns aufgrund des Namens entschieden. Hier gibt’s keinen Bus, keine Straßenbahn, nur Autos. Uber kann man aber wohl zumindest mal versuchen. Wir laufen die 30 Minuten zum Hotel. An einer Ausfallstraße sind nebeneinander vier nahezu baugleiche Hotels (vom Charakter eher Motels) mit großen Parkplätzen. Nebenan ein Walmart, je ein Dollar Tree/General (gemischte Discounter wie Woolworth/tedi/kodi/…), KFC, Taco Bell, Pizza Hut, McDonald’s. Vermutlich liegt Mount Pleasant nicht nur an der Bahnstrecke, sondern auch an einem Highway.
Wir laufen zurück in den Ort und erleben eine klischeehafte amerikanische Kleinstadt, während der kalte Wind beißt. Breite Straßen, große Grundstücke, einfache Holzhäuser, viele SUVs/Pickups, immerhin einen Bürgersteig. Schilder gegen Windräder, für Trump, Werbung für Kirchen, religiöse Szenen im Vorgarten, ein gigantischer Parkplatz neben einer Foot-/Base-/Softball-/Leichtathletik-Sportanlage. Entdecken mindestens fünf Kirchen (bei ~9.000 Einwohnern) und kommen am zentralen Platz des Ortes an. Banken, Versicherungen, Tattoo-Studio, Café, zwei Pizzerien, Geschenk- und Kramläden. Wir trinken einen Kaffee und essen Kürbis-Kuchen. Knapp bevor das Café zumacht. Die meisten Läden haben von 6.30/7.00 Uhr bis 14.00/14.30 auf. Das erinnert ein wenig an die Lebenswirklichkeit in der DDR, als auch zwischen 5.30 und 6.00 Uhr aufgestanden wurde.
Auf dem Rückweg gehen wir im Walmart für die morgige Bahnetappe einkaufen. Der Walmart ist riesig, es gibt alles bis hin zu Waffen und Munition. Und die Preise sind völlig in Ordnung. Auf dem Land stimmt die Welt also noch. Offenbar muss in den Großstädten für zB Miete so viel mehr bezahlt werden, dass alles teurer ist. Wer dann noch in kleinen Kiosken/Geschäften einkauft, wird halt noch mehr zur Kasse gebeten. Ist am Ende nicht anders als bei uns.
Im Hotel können wir endlich wieder Wäsche machen. Es ist dann doch netter, frisch geduscht in gut riechende Wäsche zu steigen. Abends gehen wir ums Eck Pizza essen. Werbung draußen: zwei große für 25 USDollar. Drinnen dann Buffet für 16 USD/pP. Nehmen wir und hauen uns die Bäuche voll. Insbesondere endlos trinken ist gut. Und: der Laden ist voll, die Einheimischen kommen offenbar wegen des Buffets. Wir freuen uns, inmitten der typischen Landbevölkerung/Trump-Wähler zu sitzen. Familie mit sieben Kindern, ein Opa, der seine Jeans und dann die Über-Lederhose zum Ausgehen angezogen hat. Super.
Nach dem Essen habe ich dann noch eine Runde gedreht, in der Hoffnung, winterlich beleuchtete Häuser zu sehen. Nicht ein einziges gefunden. Im Gegenteil, irgendwann wurde es auf einer der Straßen ziemlich dunkel. Also zurück ins Hotel und ab ins Bett.
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